hannah arendt preis

Podiumsdiskussion: Über-Leben – Handeln in Freiheit

15. Oktober 2021
18:00 - 21:00

Veranstaltungs-Infos

Eine Veranstaltung des Vereins Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V

Politik ist möglich, wenn das Überleben gesichert ist. Dies war in der Antike nicht anders, als es heute ist. Ohne Sicherheit für Leib und Leben werden Gesellschaften vom Kampf ums Überleben dominiert. Es bleibt wenig Raum für freie politische Gestaltung. Denn: Ohne Sicherheit keine Freiheit. Was Gesellschaften gegenwärtig weltweit erleben, ist eine Verquickung von staatlicher Beschränkung der Freiheit und der faktischen Zunahme von staatlichen Schutzfunktionen. Der Staat nimmt jedoch über seine verfassungsmäßigen Schutzfunktionen hinaus weitere Schutzpflichten wahr, die er via Maßnahmeregelungen der Exekutive durchsetzt - im Namen der kollektiven Sicherheit und Gesundheit.

Es scheint, als ob der Kampf um das Überleben demokratischer Gesellschaften den politischen Raum in Haft genommen hat. Ivan Krastev bemerkte unlängst: „Covid 19 hat der Demokratie eine Auszeit beschert“. Angesichts der jüngsten Ereignisse könnte man hinzufügen: … und das in einer Zeit, in der die freiheitlichen Gesellschaften um ihr Überleben kämpfen müssen. Die Beschränkung individueller und öffentlicher Freiheitsrechte findet in einer Situation statt, die ohnehin von Krisen geprägt ist: Die Bedrohung durch Pandemie und Terrorwellen, angesichts derer die Schutzfunktion des Staates aufgerufen ist, nimmt zu, ein Ende ist nicht abzusehen.

  • Die Mutation freiheitlicher Grundordnungen zu autoritären Fürsorgestaaten (Polen), die Festigung sogenannter „illiberaler Demokratien“ (Ungarn, Russland, Belarus, Türkei, Myanmar) führen vor Augen, wie demokratische Systeme von innen her sich selbst zerstören.
  • Die Bewegungen zum radikalen Wandel der bisherigen Marktwirtschaft in westlichen Gesellschaften fordern neben einem allgemeinen Umdenken einen starken Staat, der Sofortmaßnahmen gegen alle Widerstände und gegen die plurale Gesellschaft durchsetzt.
  • Die aus dem Wandel der Parteienlandschaft entstandenen populistischen und kryptofaschistischen Bewegungen und Parteien fordern einen durchgreifenden Staat, der „aufräumt“ mit Korruption und liberalen Freiheitsrechten.

Öffnet man die Perspektive weiter, so hat die Auflösung der großen Machtblöcke zu den neuen Unsicherheiten beigetragen. Macht- und Gewaltpotentiale werden neu verteilt. Staaten-Bündnisse und Friedensabkommen werden fragiler. Neue Staaten und Pseudo-Staaten melden Führungsansprüche an. (Bürger-)Kriege lösen globale Migrationsströme aus und führen zur Veränderung von Einflusszonen.

In der westlichen Welt haben diese Prozesse mit dazu beigetragen, kollektive Ängste und Rufe nach einem starken, Schutz gewährenden Staat laut werden lassen. Dies umso mehr, als die genannten Veränderungen in einer Konstellation des beschleunigten technisch-industriellen Wandels stattfinden, in der die Digitalisierung von Produktion und Kommunikation, von Wahrnehmung und Denkweise die bisherigen Formen des Wirtschaftens und der politischen Kultur verändern. Aber gilt nicht auch die Erfahrung: Ohne Freiheit keine Sicherheit? Die immer wieder ausbrechenden weltweiten Freiheitsbewegungen (nicht zuletzt in Belarus und Myanmar) signalisieren, dass in dieser unübersichtlichen Gemengelage starke Zivilgesellschaften entstehen, die der Exekutive Grenzen setzen und die Freiheit regenerieren, auch wenn sie nicht stark genug sind, die Unterdrückung dauerhaft zu beenden.

Eine demokratische Öffentlichkeit muss sich in dieser Situation auf Themen einlassen wie:

  • Wie ist politisches Handeln und politische Gestaltung in Situationen der Bedrohung und der Unsicherheit möglich?
  • Können/dürfen/sollen BürgerInnen gegen staatliche Übergriffigkeit ein Grundrecht auf öffentliches Handeln in Anspruch nehmen? Mit welchen Zielen?
  • Wo liegt das politische Maß zur Wahrung und/oder Begrenzung der Freiheitsrechte?
  • Was würde eine Wirtschaftsweise auszeichnen, in der Marktwirtschaften, Staaten und Zivilgesellschaften das Verhältnis zwischen Allgemeinwohl, Einzelinteresse, Klima- und Naturschutz qua „Staatsräson“ immer wieder austarieren müssten?

 

Anmeldung notwendig: ruedel@uni-bremen.de

Eine Veranstaltung des Vereins Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken e.V. in Kooperation mit der Heinrich Böll-Stiftung und dem Institut français Bremen.

 

15. Oktober 2021
18:00 - 21:00

Eintritt: frei

Institut français
Contrescarpe 19
28203 Bremen