Interview mit dem Leiter des Institut français Bonn Landry Charrier im Club-Brief des Internationalen Club La Redoute Bonn e.V.

Lieber Herr Charrier, Sie leiten das Institut français  in Bonn seit September 2017. Wie waren die letzten Wochen für Sie?



"Never waste a good crisis”, soll Winston Churchill gesagt haben. Mein Team und ich haben uns von Anfang an bemüht, die Krise als Chance zu nutzen, um uns weiter zu entwickeln und neu zu positionieren. Die Abteilungen Sprachkurse und Kultur haben an einem Strang gezogen, viel auf social media kommuniziert und ein Online-Angebot entwickelt. Der Sprung in die neue Wirklichkeit hat viel uns abverlangt; er ist uns aber – soweit ich es überblicken kann – weitgehend gelungen. Es darf aber nicht zu einer zweiten Welle kommen. Für eine Einrichtung, die maßgeblich auf die Gelder angewiesen ist, die sie durch die Sprachkurse generiert, wäre dies verheerend. 

Sie sind neben der Tätigkeit als Institutsleiter auch Hochschulattaché der Französischen Botschaft für NRW, Rheinland Pfalz, Saarland und Hessen. Welche Aufgaben nehmen Sie damit wahr?

Meine Aufgabe besteht darin, den Dialog zwischen deutschen und französischen Hochschulen bzw. Forschungseinrichtungen auszubauen, Kooperationsprojekte vor allem in sog. Zukunftsbereichen zu initiieren und die Mobilität von deutschen Studierenden nach Frankreich zu fördern. Das erfordert Zeit und Engagement, ist aber eine tägliche Bereicherung. 

Das Institut français  hat ein breites Sprachvermittlungs- und Kulturangebot für junge und ältere Menschen. Was wird am meisten genutzt?

Beides. Die Sprachkurs- und Kulturabteilung verstehen sich als eine organische Einheit. Jede Abteilung hat zwar ihre eigene „Strategie“. Die jeweiligen Abteilungsstrategien stehen aber im Dienste einer übergeordneten, umfassend durchdachten Konzeption. Ziel ist es, unsere Position in Bonn und Umgebung nachhaltig zu stärken. Daran arbeiten wir auf Hochtouren.

Sie selbst haben sich intensiv mit den beiden Weltkriegen beschäftigt und dazu publiziert. Und in der Nachfolge zum Deutsch-Französischen Verhältnis im europäischen Kontext. Sehen Sie dieses als langfristig in Europa maßgeblich an?

Antworten auf die Herausforderungen, denen wir in Europa heute gegenüberstehen, müssen vor allem unsere beiden Länder geben. In der Geschichte der europäischen Integration ist die eng abgestimmte gemeinsame Führung Deutschlands und Frankreichs immer zentral gewesen. Daran hat sich nichts geändert. Für das gemeinsame Europa tragen wir aber alle Verantwortung: in Berlin und Paris ebenso wie in Lissabon, Zagreb oder Warschau.

Als Germanist haben Sie sich darüber hinaus mit Werken der belletristischen Literatur auseinandergesetzt. Gibt es Empfehlungen Ihrerseits für unsere interessierte Mitgliedschaft (des Internationalen Club La Redoute Bonn)?

Vor wenigen Wochen war ich zum ersten Mal in Weimar. Als Germanist (und Historiker) hätte ich mir eigentlich schon längst die Stadt anschauen sollen. Vom Turm der Jakobskirche – der Kirche, in der Goethe und Christiane Vulpius sich 1806 trauen ließen – hat man einen fantastischen Blick über die Stadt. Man sieht aber auch das Buchenwald-Mahnmal, an der Südseite des Ettersbergs. Das Nebeneinander von zwei Welten, die nichts miteinander zu tun haben, die aber nur miteinander gedacht werden können, hat mich erschüttert. In seinem 1994 veröffentlichten Buch „L’écriture ou la vie“ („Schreiben oder Leben“) ist Jorge Semprun ausführlich darauf eingegangen. Das Buch ist gleichzeitig eine Erinnerung daran, was der Wert von Freiheit, Demokratie und Frieden ist. Gerade jetzt muss es neu entdeckt werden.

Sie gehören bereits einige Jahre dem Vorstand unseres Clubs (La Redoute Bonn) an. Haben Sie eventuell weitere Ideen oder Anregungen für unsere Clubaktivitäten?

Der Club wurde 1953 vom damaligen Hohen Kommissar André François-Poncet als internationaler Begegnungsort gegründet. Ich würde mich freuen, wenn dieser Aspekt noch mehr im Vordergrund stünde. Wir erleben außergewöhnliche Zeiten, die außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, aber auch ein Höchstmaß an Empathie für die Nöte und Bedürfnisse der jeweils anderen. In Ihrer Rede vor dem Europäischem Parlament am 8. Juli hat Bundeskanzlerin Merkel daran erinnert. Der Club kann einen Beitrag dazu leisten.  

Der französische Präsident Macron hat einen „neuen Weg“ mit einem „neuen Team“ angekündigt. Halten Sie den unauffälligen und dabei arbeitsamen Jean Castex für den richtigen Mann, die Stimmung im Land wieder umzudrehen und mit Dialogbereitschaft der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken?

Es liegt nicht an mir, mich dazu zu äußern. Eins möchte ich aber sagen: Das politische Handeln kann sich zwar der Zwänge sowie der Komplexität der Wirklichkeit nicht entledigen – es kann aber nicht auf die kurze Dauer reduziert werden. Diese Ideen findet man in einem Vortrag wieder, den Paul Ricoeur – der bekanntlich Staatspräsident Macron stark geprägt hat – im Januar 2002 gehalten hat. Ich finde sie nach wie vor sehr aktuell. 

Lieber Herr Charrier, ich danke Ihnen für das aufschlussreiche Interview.

Das Interview führte Dorika Seib

Quelle: 62. Club-Brief des Internationalen Clubs La Redoute, Bonn e. V., abrufbar unter www.intclub-redoute-bonn.de

Dr. habil. Landry Charrier, 1979 in La Roche-sur-Yon (Frankreich) geboren. Seit dem 1.09.2017 ist er Hochschulattaché der französischen Botschaft für NRW, Rheinland-Pfalz, Hessen und das Saarland. Er leitet gleichzeitig das Institut français Bonn und ist Präsidiumsmitglied des Internationalen Club La Redoute Bonn e.V., für dessen Mitgliedermagazin das Interview geführt wurde.