La Nuit des idées 2021

Die Nacht der Ideen 2021

28. Januar 2021
20:00 - 23:00

Veranstaltungs-Infos

Die Nuit des idées (Nacht der Ideen) feiert die Zirkulation von Ideen zwischen Ländern und Kulturen, Disziplinen und Generationen.

Zum YouTube Live-Video-Link: https://youtu.be/__umnhRwl90

Zum Facebook Live-Stream Link: https://www.facebook.com/events/1149229945537890/

 

Die Nuit des idées ist jedes Jahr eine Einladung, die neuesten Erkenntnisse zu entdecken, denjenigen zuzuhören, die Ideen in allen Bereichen vorantreiben und sich über die großen Themen unserer Zeit auszutauschen. Über Zeitzonen hinweg werden Echos der Nuit des Idées über soziale Netzwerke verbreitet, was die Nuit des Idées zu einem globalen Ereignis macht. Das Thema für 2021 ist "Proches" (Nähe, Familie und Verwandte, Freunde). Deshalb wird eine Nacht lang im ICFA debattiert, philosophiert und diskutiert.

Die Nuit des Idées findet am 28. Januar statt zum Thema „Nähe“, organisiert in Zusammenarbeit mit dem Deutsch-Französischen Kulturinstitut Tübingen (ICFA) und dem Center for Interdisciplinary and Intercultural Studies (CIIS).

ZUM TRAILER

Was ist Nähe, wie kann sie „näher“ bestimmt werden? Sie ist keine absolute Größe, sondern relativ. Ihre Gegensätze können Distanz, Ferne, Weite oder auch Abstand sein. Sie kann aber auch Vertrautheit und Fremde kennzeichnen und ganz andere Fragen aufwerfen. Die Antworten darauf sind so vielfältig wie unsere Erfahrung mit anderen Menschen, Gegenständen oder auch mit der eigenen Zeit, den Kulturen oder der Geschichte.

Anlässlich dieses Abends wird es vielfältige Diskussionen, Musik, Tanz und Literatur geben. Diskutiert mit uns zum Thema proches/Nähe und beteiligt Euch am Call for photos, Call for words , sowie im Chat im Laufe des Abends!

Frei | Youtube @ ICFA Tübingen & Facebook @ICFATuebingen live  | dt./en.

Die Nacht der Ideen

Nähe : Die Erfahrung und das Phänomen

Programm

20:00 - 20:10 Uhr

Eröffnung des Abends durch Stefanie Schneider, Landessenderdirektion BW SWR.

Fotoausstellung der eingereichten Fotos durch den Call for photos über Distanz und Nähe zur Zeit der Corona-Pandemie.





20:10 – 21:10 Uhr

Runder Tisch: Philosophische Überlegungen und Diskussionen in deutscher und englischer Sprache zum Begriff der Nähe mit Eveline Cioflec, Abbed Kanoor (Collège international de philosophie) , Niels Weidtmann und Hora Zabarjadi-sar vom Center for Interdisciplinary and Intercultural Studies der Universität Tübingen.

21:10 - 21:20 Uhr

Lesung in deutscher Sprache durch die Autorin Yoko Tawada aus: Paul Celan und der chinesische Engel, Konkursbuch Verlag.



21:20 – 22:00 Uhr

Runder Tisch
über die Erfahrung von Nähe und Veränderung in dieser Zeit der Pandemie aus verschiedenen Perspektiven. Gäste: Yoko Tawada (Autorin), Hannah Neumann (Mitglied des Europäischen Parlaments (Die Grüne), Johannes Fendel (Gesundheits- und Krankenpfleger). Diskussion auf Deutsch.



22:00 - 22:20 Uhr

Kristin Scheinhütte, Sabine Weithöner und Rupert Hausner, Schauspieler des Landestheaters Tübingen lesen Auszüge aus: Jean-Paul Sartre, Geschlossene Gesellschaft, Neuübersetzung von Traugott König © Rowohlt Theater Verlag.

Das Thema dieses Stücks von Sartre spiegelt die Problematik von aufgezwungener Nähe und notwendiger Distanzierung wideer.

22:20 - 22:50 Uhr

Runder Tisch "Nähe und Sprachen": Interkulturelle Perspektiven auf Nähe. Gibt es Wörter, die nicht übersetzbar sind und die Sie in einer anderen Sprache vermissen und warum vermissen Sie sie? Ihr könnt uns bereits jetzt Eure Gedanken über den Call for words schicken.

Die Diskussion lädt das Chat-Publikum ein, Wörter oder Ausdrücke zu nennen, die in einer anderen Sprache fehlen. Diskussion in Deutsch und Englisch.



22:50 - 23:10 Uhr

Abschluss: Lesungen zu Migrationserfahrungen aus dem Buch Texte und Materialien für den Unterricht. Migranten erzählen. Hrsg. Peter Müller. Reclam: Stuttgart, 2018. Gelesen von Fione Foerth.

Der ganze Abend wird von kurzen künstlerischen Beiträgen untermalt. Diesen wurden vorab aufgezeichnet mit: Marcel Martínez Bonifacio (Orgel), Laura Börtlein (Tanz), Ninon Gloger (Klavier) und Carlos Valenzuela (Gitarre).

 

Nähe und Distanz aus phänomenologischer Sicht, Eveline Cioflec, CIIS Tübingen

Was ist Nähe, wie kann sie „näher“ bestimmt werden? Sie ist keine absolute Größe, sondern relativ. Ihre Gegensätze können Distanz, Ferne, Weite oder ggf. auch Abstand sein. Sie kann aber auch Vertrautheit und Fremde kennzeichnen und ein gänzlich anderes Frageregister ansprechen. Die Frageregister der Nähe sind so vielfältig wie unsere Erfahrung etwa mit anderen Menschen, Gegenständen, oder auch mit der eigenen Zeit, den Kulturen oder der Geschichte. Unsere Präsentationen und Gespräche zeigen, wie ernst es der Phänomenologie mit der Nähe ist, und wie erstaunlich vielseitig dieselbe sein kann.

1. Erlebte Nähe versus absoluter Raum (Husserl, Heidegger)

Nähe kann gemessen werden, sobald sie in einem absoluten Raum verortet wird, etwa in Metern, oder Kilometern. Aber gerade dann, wenn man sie misst, wird man verunsichert. Wie nah ist nah genug als dass wir von Nähe sprechen können, wie weit ist weit genug um von Ferne zu sprechen? 1.5 oder 2 Meter – aktuelle Maße der „sozialen Distanz“ –, oder doch eher hunderte von Kilometer? Es reicht nicht zu messen, der Raum muss auch durchmessen werden, um Nähe beurteilen zu können. Was in kurzer Zeit erreichbar ist, scheint nicht weit weg zu sein: Nah ist, was in 5 Minuten Fahrrad- oder Fußweg entfernt liegt. Auch darf der Weg nicht allzu anstrengend sein – 2 Stunden mit dem Fahrrad kann als weiter weg erscheinen als 2 Flugstunden Entfernung. So zeigt sich, dass weniger der Raum als die Zeit über die Nähe entscheidet. Und zwar die gelebte Zeit, die Zeit, in der man selbst den Raum durchquert. Nah ist, was ich gegebenenfalls in kurzer Zeit erreichen kann – sei es der Laden um die Ecke oder der Urlaubsort wenige Flugstunden entfernt. Phänomenologisch Nähe erfassen meint, vom Erleben auszugehen, um überhaupt Abstand zu denken. Zum Bäcker hin schafft man es gerade noch die Jacke zuzuknöpfen – das kann nicht weit weg sein!

2.Die körperliche Erfahrung, Wahrnehmung – oder wie Nähe ihren Abstand braucht (Husserl, Heidegger, Merleau-Ponty; G. Böhme)

In der Nähe sind nicht nur Orte, sondern auch greifbare Gegenstände, was etwas über meine körperliche Erfahrung aussagt. Etwas kann „hautnah“ sein. Dieses empfinden wir als sehr nah. Aber den eigenen Körper als „Zentrum“ der Nähe aufzufassen wirft bereits Fragen auf, wo Nähe beginnt und wo sie aufhört. Denn „rückt“ etwas „auf die Pelle“, dann ist es bereits zu nah um noch genügend Raum für Nähe zu lassen. Damit Nähe als solche besteht, setzt sie einen Abstand voraus. Der greifbare Gegenstand liegt noch nicht in meiner Hand – er ist auf Abstand in der Nähe. Mehr noch: Vieles zeigt sich erst, wenn man den Abstand dazu einhält, so etwa eine Landschaft, Berge in ihrer Struktur, große Gemälde. Die Landschaft zeigt sich und rückt umso näher, als wir sie von Ferne betrachten. Um jedoch die Textur von Samt zu erfahren, muss dieser ertastet werden. Wie sind Nähe und Ferne mit unserer leiblichen Erfahrung verbunden? Bin ich mir am nächsten, weil ich in meinem eigenen Körper bin? Oder ist mir der andere näher, weil ich ihn umarmen kann – und heutzutage vielleicht noch viel näher, zumal ich Pandemie-bedingt die Hand nicht reiche und noch viel weniger umarme, als dass was selbstverständlich war plötzlich so augenfällig wird?

3. Die Nähe des Vertrauten und der Abstand des Fremden (Arendt. Wir Flüchtlinge, Nancy, Flusser, Jullien, etc.)

Nah steht uns, was uns vertraut ist. Das Unbekannte, nicht Vertraute, steht auf Abstand – und reizt zugleich, und zwar auf vielfältige Weise: Auf Reisen sind wir an anderen Kulturen, Lebensweisen, Praktiken interessiert. Die fremdartige Musik des Nachbarn kann allerdings als fremdartige, auch wenn sie nicht laut ist, ärgerlich sein – ob dieselbe nun einer anderen Generation angehört oder einer anderen Kultur. Wie leben wir die Spanne von Vertrautheit und Fremdheit aus? Wie leben wir in Multikulturellen Städten miteinander? Unser Vorschlag ist, in der spannungsreichen Multikulturalität, die Interkulturalität hervorzuheben: Das fremdartige der Kultur reicht nicht nur in anderer Länder Sitten hinein, sondern auch in die eigene Geschichte. Kultur wächst gerade an den Unterschieden, an den Ungereimtheiten, die ineinander greifen, die Ferne in die Nähe bringen, räumlich und zeitlich. Kulturen erwachsen aus ihrem „Zwischen“, aus den „Inter-“,  die eigene Praxis wird getönt und geschliffen durch die Begegnung mit anderen Handhabungen: ob nun das Interesse und die Freude daran vorrangig ist, oder der Ärger. Migration hat es schon immer gegeben, Menschen verschiedenster Herkunft sind in andere Gegenden, später Länder umgesiedelt. Die Kulturen sind daran nicht zerbrochen, sondern vielmehr scheinen sie dadurch gestärkt hervorgegangen zu sein. Wie steht jedoch dasjenige, was die Migrantin, der Migrant erlebt, im Verhältnis zum Geschehen der Kulturen? Bin ich als Migrant/in in der Nähe? Gehöre ich zu Euch? Zu Dir? Ihr zu mir? In welcher Nähe halten wir uns auf? Etwa in derselben Sprache? So vieles bleibt unübersetzbar – und doch können wir darüber reden, uns im Zwischen, zwischen unseren Sprachen bewegen.

 

28. Januar 2021
20:00 - 23:00

Deutsch-Französisches Kulturinstitut
Doblerstraße 25
72074 Tübingen